Über das Stück
Sonst klettern sie auf Kirchtürme, um deren Dächer neu zu decken, heute aber klettern sie auf den Gipfel der Hohen Munde bei Telfs (2592 Meter), um dort ein Feuer zu entzünden: Der Meister, der sein Leben als Meister beenden will, der Geselle, der Meister werden will, der Lehrling und der türkische Gastarbeiter, beide geübt in der Anpassung, und eine Büroangestellte, Freundin des Gesellen, die lieber fernsehen würde als auf Bergen herumzukraxeln. Ein schöner Ausflug soll es werden, mit allem, was dazugehört – Bier, Schnaps, Würstel.
Unten im Tal kommen die fünf Arbeitskollegen leidlich miteinander zurecht, hier auf der Höhe aber werden unterdrückte Spannungen sichtbar. Es beginnt harmlos mit den üblichen Frotzeleien, dann bahnt der Alkohol der Tragödie den Weg. Fünf Menschen am Abgrund, einer geht einen Schritt zu weit….
Über den Autor
Seine Mutter Adelheid Marksteiner, Bauerntochter aus Brandenberg in Tirol, kam als Landarbeiterin nach Achenkirch.
„Adelheid war sehr schön und vielbegehrt. Am 6. Februar 1948 kam ich infolgedessen zur Welt. Anwesend neben der Hebamme war eine Landarbeiterin namens Juliane Mitterer, die beste Freundin von Adelheid. Es war abgemacht, dass sie mich bekommt.“ schreibt Felix Mitterer in seinem Lebenslauf vom 1. November 1992 in seinem Buch „Stücke 2“, aus dem wir Ihnen ein wenig erzählen wollen.
Er wurde also an das Ehepaar Mitterer, das keine Kinder mehr bekommen konnte, verschenkt. Sein Name Felix kommt daher, dass sich Julie während des Krieges in einen französischen Kriegsgefangenen namens Felix verliebte und er sich in sie – aber es wurde nichts daraus.
Mit seinen Zieheltern kam er in die Gegend von Kitzbühel und Kirchberg, wo sie im Laufe der Jahre von einem Bauernhof zum anderen zogen. Er besuchte die Volksschule in Kitzbühel und Kirchberg. Sobald er lesen konnte, las er, was er zwischen die Finger bekam. Den Bauernkalender, die Schundhefte der Knechte, die Zeitung des Vaters, der übrigens der einzige Knecht war, der damals eine Tageszeitung abonniert hatte. Es waren Fremdengäste, die ihm die ersten guten Bücher schenkten. Fast alles von Mark Twain, den Tarzan-Roman von Edgar Rice Burroghs und anderes mehr. Seinem Lehrer fiel er durch seine Aufsätze auf. Mit etwa zwölf Jahren begann er, auch in der Freizeit Geschichten zu schreiben. Bis auf eine spielten sie im Wilden Westen, in Chicago, in Soho, im Weltraum. Er wollte sich fortträumen, vorher mit dem Lesen, jetzt auch mit dem Schreiben, denn er liebte seine Welt nicht und wollte ihr entfliehen.
Als er dreizehn war, meinte sein Lehrer, für einen wie ihn gebe es nur zwei mögliche Berufe: Lehrer oder Pfarrer. Letzteres kam für ihn nicht in Frage, weil er zu der Zeit unsterblich in eine Schülerin (die das nie erfuhr) verliebt war, also entschied er sich, Lehrer werden zu wollen. Sein Lehrer kümmerte sich um ein Stipendium und einen Heimplatz und fuhr auch mit ihm zur Aufnahmeprüfung in die Lehrerbildungsanstalt nach Innsbruck, die er bestand. Er war überglücklich, in dieser wunderbaren Stadt zu sein, wo es nach Asphalt roch und nicht nach Kuhdreck. Endlich weg von daheim, von der Enge, von der Armut, von den ewigen Krankheiten der Mutter und von ihrem ununterbrochenen Redeschwall.
Im Heim gab es Fernsehen. Das war für ihn vollkommen neu und natürlich faszinierend. Geradezu süchtig wurde er jedoch nach dem Kino. Trotzdem blieb aber ein weiteres Faszinosum das Lesen – gefördert durch eine hervorragende Heimbibliothek mit der gesamten Weltliteratur. „Diese fraß ich in mich hinein; die Russen, die Franzosen, die Amerikaner. Vieles kapierte ich nicht, alles aber gab mir viel. Meine Schule – die Lehrerbildungsanstalt – kam dadurch natürlich ins Hintertreffen.“ So stark, dass nach dem dritten Schuljahr ein Fünfer in Latein eine Wiederholungsprüfung bedeutete. Da reifte der Plan in ihm, dieses garstige Land überhaupt zu verlassen und auszuwandern. Nach England wollte er, dort ein neues Leben beginnen, Schriftsteller werden. Er kam allerdings nur bis Rotterdam. Die Polizei griff ihn auf und der Österreichische Konsul (der seinen Winterurlaub immer in Kirchberg verbrachte) war bei der Heimreise behilflich. Die Ratschläge eines LKW-Fahrers für eine Weiterreise nach England wurden abgelehnt, denn „ein langer Monat auf den Straßen reichte mir. Unter Obdachlosen in Klosettanlagen hatte ich geschlafen, in Parks, in einer Tornische, zugedeckt mit der Landkarte Europas.“
Nachdem der Nachprüfungstermin ungenützt verstrichen war, musste das Schuljahr wiederholt werden. Nach ein paar Monaten hatte er es endgültig satt und verließ die Schule (1966). Zuvor schon hatte er sich um Arbeit umgesehen und zufällig eine Stelle beim Zollamt Innsbruck gefunden. Dort saß er an einer Rechenmaschine und rechnete die Zölle aus. Nach Dienstschluss ging er heim (er wohnte jetzt im Kolpinghaus) und schrieb. Jetzt keine Krimis mehr, seine Themen wurden andere. Sein Ein-Mann-Stück „Plädoyer für einen Verräter“ wurde im Pfarrsaal gegenüber aufgeführt, Mitterer spielte selbst den Judas. „Ob’s ein Erfolg war, weiß ich nicht mehr, das Manuskript selber ging mir später verloren,“ schreibt er.
„Dann trat eine Schreibpause ein, ich las nur mehr. Aber jetzt las ich fast keine Bücher mehr, sondern hauptsächlich Zeitungen und Zeitschriften. „Konkret“, „Pardon“, „Twen“, den „Spiegel“. ´68 lag in der Luft und kam. Und ich war plötzlich aufgewacht, war kein Kind mehr, war mittendrin. Nicht aktiv natürlich, ich war ja kein Student, ging jeden Tag ins Büro, hatte keinerlei Kontakt zu irgendwelchen Intellektuellen. Aber geistig war ich drin, geistig sympathisierte ich, begann mich mit Gesellschaftspolitik zu befassen, begann den Verhältnissen auf den Grund zu gehen und die Zusammenhänge zu durchschauen, begann über meine Herkunft nachzudenken und sie anzunehmen, begann über das Schicksal meiner leiblichen und meiner Adoptivmutter nachzudenken und beide zu verstehen. Und jetzt, jetzt konnte ich auch endlich wieder nach Hause fahren und den Panzer ablegen und offen reden. Das alles, dieses Aufwachen, dieses Verstehenlernen, dieses Heimkehren führte dazu, dass ich mich in meiner Literatur nicht mehr fortträumen musste in andere Welten, sondern daß ich endlich schreiben konnte und wollte über meine Welt, meine Herkunft, meine Menschen; zuerst in Kurzgeschichten, dann in Hörspielen, Stücken und Drehbüchern.“
1977 kam das Jahr der Entscheidung. Sein erstes Buch erschien, „Superhenne Hanna“, ein Kinderbuch bei Jungend & Volk. Der erste Fernsehfilm wurde vom ORF gedreht, „Schießen“ hieß er und handelte in seinem Büro. Im Herbst kam dann sein erstes Theaterstück – „Kein Platz für Idioten“ – an der Innsbrucker Volksbühne Blaas zur Uraufführung; dabei spielte er selbst die Rolle des behinderten Buben, weil niemand vom Ensemble im geeigneten Alter war. Dann kündigte er beim Zoll, fand zu seinem „liebenswerten, familiären Bühnenverlag Kaiser & Co.“, spielte in Wien Theater, und lernte die Malerin Chryseldis kennen. Sie zogen zusammen und freuten sich sehr über Tochter Anna, die 1980 zur Welt kam. Weil er bei der Familie sein wollte, ist die Entscheidung zwischen Schreiben oder Spielen für das Schreiben ausgefallen, gespielt wurde nur in Ausnahmefällen.
Mit „…mein bisheriges Leben. Manches mag für manche exotisch scheinen, aber es ist ganz und gar nichts Ungewöhnliches dran, denn so wie ich sind abertausend andere auch aufgewachsen. Unge-wöhnlich mag nur sein, dass ich Schriftsteller wurde, dass ich gerettet wurde und andere nicht …“ schließt der Lebenslauf von 1992.
Um Felix Mitterers Werke anzuführen, reichen einige Programmhefte nicht aus. Viele, viele Hörspiele, Bücher, Beiträge, Fernsehfilme, Tatort-Folgen und Theaterstücke – zuletzt „Der Boxer“ in der Josefstadt oder ganz aktuell „Glanzstoff“ mit fünfzig Laiendarstellern in St. Pölten – finden sich auf langen Listen im Internet.
Besetzung
Technik: Franz Reindl / Bühnenbild: Siegbert Zivny / Fotos: Helmut Oelkers
Regie: Conrad Wiesenhofer
Premiere: 25.06.2015
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